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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Schärfentiefe abhängig von Brennweite?



michael_alabama
13.05.2011, 14:44
Ich nahm kürzlich an einem Makro-Workshop teil - mein neues 100er Makro voller Stolz im Gepäck. Dort wurde die Ansicht geäussert, dass ein Makro länger als 60 mm wegen der geringen Schärfentiefe nicht sinnvoll sei. Frust machte sich bei mir breit, und ich dachte voll Mitgefühl an die 180 mm-Eigner. Das musste ich doch mal hinterfragen. Ich wollte aber nicht in unübersichtlichen Formelwerken herumprüfen, sondern habe lieber praktische Beispiele gewählt.
Sinnvollerweise ist bei einem Vergleich m. E. nicht von gleichem Kameraabstand auszugehen, sondern von identischem Abbildungsmaßstab. Der Einfachheit halber wählte ich 1:1 auf KB-Format. Als DOF-Rechner kam folgender auf Striewisch basierender von E. Krause zum Einsatz: http://www.erik-krause.de/schaerfe.htm .


Abbildungsmaßstab 1:1,
Blende 8,
Zerstreuungskreis 0,025 mm (Maß für beginnende Unschärfe).
Drei Brennweiten: 60, 100 und 180 mm.

Ergebnis: Alle drei Schärfenbereiche sind mit 0,80 mm identisch. Wenn ich hier also nicht irgendeinen fundamentalen Fehler eingebaut habe, wäre die oben angezweifelte Kernaussage also falsch. Die Brennweite beeinflusst unter diesen Bedingungen nicht die Schärfentiefe. :p

Und jetzt die unvermeidliche Frage nach dem kleineren Sensor. Bekanntlich haben ja die Kompaktknipsen mit ihrem Fitzelsensor einen selbst bei Makro enormen Schärfentiefenbereich. Wie sieht es aber bei z. B. APS-C aus? Sinnvollerweise muss der Zerstreuungskreis an die kleinere Bilddiagonale angepasst werden, gleichermaßen der Abbildungsmaßstab. Eigenartigerweise konnte ich den Crop-Faktor 1,6 in dem angeführten DOF-Rechner nicht finden, das ist aber für die grundsätzliche Überlegung nicht relevant. Also gesetzt KB = 24 x 36 und APS-C = 17 x 25.


Abbildungsmaßstab 1:1,44 (näherungsweise),
Blende 8,
Zerstreuungskreis 0,0178 mm (Maß für beginnende Unschärfe),
Drei Brennweiten: 60, 100 und 180 mm (real, nicht KB-äquivalent).

Ergebnis: Alle drei Schärfenbereiche sind mit 1,003 mm identisch*, aber größer als bei KB-Format. D. h. die allseits bekannte Aussage "Kleinerer Sensor vergrößert Schärfentiefe" kann also bestätigt werden.

Zum Schluß noch die Betrachtung für die Kompaktknipse. Sensor 1/1,7", Diagonale 9,5 mm gegenüber 43,3 mm beim KB.


Abbildungsmaßstab 1:4,56 (näherungsweise),
Blende 8,
Zerstreuungskreis 0,0055 mm,
Drei Brennweiten: 60, 100 und 180 mm (KB-äquivalent).

Ergebnis: Alle drei Schärfenbereiche sind mit 2,228 mm identisch, aber noch einmal deutlich gewachsen. Allerdings doch nicht so stark wie erwartet. Möglicherweise liegt das daran, dass der "Unschärfeanstieg" außerhalb des definierten Schärfebereichs bei dieser Situation sanfter ist als bei den anderen Sensorgrößen, die subjektive Schärefntiefe also nochmals größer ist.

Um das Phänomen generalisieren zu können, habe ich es für eine Gegenstandsweite von 10 m überprüft. Die Ergebnisse sind (mit anderen Zahlen) identisch, es handelt sich also nicht um ein zufälliges Makro-Phänomen.

Ich weiß nicht, ob die Ergebnisse trivial sind, daher stelle ich sie hier zur Diskussion. Sollte ich Eulen nach Athen getragen haben, bitte ich euch um einen Hinweis. Die Binsenweisheit, "mit längerer Brennweite sinkt die Schärfentiefe" beruht möglicherweise auf dem verständlichen Ansatz, die Brennweite bei festem Aufnahmestandpunkt zu verändern (Zoom sei dank). Das Phänomen erinnert mich an die kürzlich hier geführte Diskussion um den Einfluss der Brennweite auf die Perspektive, ihr erinnert euch: "Nicht die Brennweite verändert die Bildperspektive, sondern nur der Aufnahmestandpunkt."

vg micha

*) Es handelt sich um Werte, die durch Schachtelung gefunden wurden, kleinere Zahlenabweichungen sind also möglich. Ggf. treten auch noch Rundungen auf.
**) Fehler und überhaupt sind ausschließlich auf Mehrfach- und Dauerstress zurückzuführen und wurden nicht bewußt gemacht.;)

roro
13.05.2011, 17:09
Die, im Prizip auf jeden Fall, falschen Aussagen zu Schärfentiefe (und auch was die Perspektive angeht) hört man schon immer. Ich fürchte das ändert sich auch künftig nicht.

Du hast dir viel Arbeit gemacht, und belegt, dass die Behauptung längere Brennweite = weniger Schärfentiefe, (ebenso wie längere Brennweite ist flachere Perspektive), nicht stimmen.

Es liegt ganz einfach daran, dass die Leute immer vom gleichen Kamerastandpunkt ausgehen. Dann hat man mit längerer Brennweite natürlich weniger drauf, (größerer Abb. Maßstab), also weniger Schärfentiefe. Das ist natürlich etwas naiv, aber…

Wer sich allerdings mit Perspektive beschäftigt, müsste eigentlich schon kapieren dass nur der Motivabstand (Gegenstandsweite) zählt.

Also lange Rede, kurzer Sinn: Du hast Dich um die Fotografie verdient gemacht.
Orden kommt aber erst nach dem Tod.

Gruß Rolf

michael_alabama
14.05.2011, 10:27
Orden kommt aber erst nach dem Tod.

Bitte auf meinen Grabstein hängen :D.

vg micha

fotovisto
15.05.2011, 01:28
Es stimmt: Bei Makros ist die Schärfentiefe nur durch den Abbildungsmaßstab, die Blende und den Unschärfekreis gegeben. Sie ist hier (allerdings auch nur unter bestimmten Bedingungen) sogar ganz unabhängig von der Brennweite.

Außerhalb des Makrobereichs gilt das aber nicht! Also Vorsicht mit Schlussfolgerungen, dass die Brennweite nie eine Rolle spielt. Denn sie tut es (sonst) natürlich sehr wohl: Für größere Gegenstandsweiten gegenüber der Brennweite selbst kann die Brennweite zwar vernachlässigt werden aber andersherum erfreulicherweise absolut nicht!

Und: Kleinere Sensoren wie in Kompaktkameras haben zwar bei gleicher Pixelmenge theoretisch auch weniger Schärfentiefe aber wir wollen "die üblichen" Bilder sehen, also brauchen wir für unsere gewohnte Bildgeometrie auch entsprechend "kürzere" Objektive, damit quasi "der Winkel stimmt". Und hier schlägt die im Quadrat steigende Schärfentiefe den nur linear wachsenden Zertreuungskreis sehr schnell.

Ergo: Mehr Brennweite, weniger Schärfentiefeeindruck! ;)

SG
Kai

URi
15.05.2011, 09:00
Ich nahm kürzlich an einem Makro-Workshop teil

Hast Du Dir dann auch mal Gedanken gemacht, ob der ganze Rest, der auf dem WS erzählt wurde, genauso korrekt ist? :rolleyes:

michael_alabama
16.05.2011, 09:50
Außerhalb des Makrobereichs gilt das aber nicht!
Hm, also rein numerisch kommt eine Rechnung mit vergrößerter Gegenstandsweite von (z. B. 10 m) allerdings zu demselben Ergebnis wie im Makrobereich. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob du das so gemeint hast.


Und hier schlägt die im Quadrat steigende Schärfentiefe den nur linear wachsenden Zertreuungskreis sehr schnell.

Ergo: Mehr Brennweite, weniger Schärfentiefeeindruck! ;)


Ah, vielen Dank für diesen allgemeingültigen Hinweis. Ich mag physikalische Ähnlichkeitsbetrachtungen!

vg micha

michael_alabama
16.05.2011, 09:51
Hast Du Dir dann auch mal Gedanken gemacht, ob der ganze Rest, der auf dem WS erzählt wurde, genauso korrekt ist? :rolleyes:

Ich möchte mal ganz vorsichtig fragen: Kennst du diesen konkreten Workshop?

vg micha