Seite 2 von 4 ErsteErste 1234 LetzteLetzte
Ergebnis 11 bis 20 von 32

Thema: Donbass-Tagebuch oder...

  1. #11
    Free-Member
    Registriert seit
    11.11.2009
    Beiträge
    402

    Standard Starovarvarovka sehen und ueberleben... (II)
    Thread-Eröffner

    Ich tweete eine Warnung. "National guard at checkpoint east of Starovarvarovka is very tense. Approach with utmost care!"

    Wir sind zwei, vielleicht drei Kilometer gefahren, als wir auf eine Kolonne Fallschirmjaeger treffen, die an einer Kreuzung steht. Drei BTR und drei oder vier Lastwagen. Eine ganze Anzahl Soldaten ist abgesessen und sichert die Umgebung.


    Emblem der ukrainischen Luftlandetruppen auf einem BTR Schuetzenpanzer

    Wir naehern uns langsam. Es ist sofort zu sehen, dass wir es hier mit Profis zu tun haben. Klare Handzeichen fordern uns auf, zunaechst anzuhalten um uns dann zu zeigen, dass wir heranfahren und rechts zum Stehen kommen sollen. Niemand richtet seine Waffe auf uns, aber die Verschluesse sind offen, die AK somit entsichert. Russische Technik ist so simpel und oft so gut durchdacht...

    "Aussteigen und auf den Boden legen", lautet die Anweisung, die uns einer der Soldaten gibt. Die vorherigen Ereignisse noch in lebhafter Erinnerung steige ich vorsichtig aus, waehrend ich in meiner linken Hand das Band meines Presseausweises halte, der in der lauen Brise lustig hin und her baumelt. Ich lege mich hin und mache den Geier. Arme zu den Seiten hin ausgestreckt, die Handflaechen nach oben. "Ist das so in Ordnung?" frage ich. "Normalne" - in Ordnung - lautet die lapidare Antwort eines der Fallschirmjaeger, waehrend ein anderer vorsichtig an mich herantritt und mich abtastet. Ein anderer tritt an mich heran, ich kann ihn kaum sehen. "You're a journalist? Show me your ID please." sagt er, vermutlich der kommandierende Offizier, in nahezu akzentfreiem Englisch. Ich reiche ihm den Ausweis. Er fragt mich nach meiner Akkreditierung. In Unkenntnis der Tatsache, dass der ukrainische Geheimdienst SBU zwischenzeitlich ein Akkreditierungsverfahren fuer die ATO-Zone (ATO = Anti-Terroristische-Operation) eingefuehrt hat, belehre ich ihn, dass es in der Ukraine seit einigen Jahren keine Akkreditierung mehr gibt und ich den ganzen Winter ueber auf dem Majdan ohne Akkreditierung gearbeitet habe. Anscheinend kann ich ihn ueberzeugen, denn er fragt nach meinem Reisepass. Der wiederum liegt noch im Auto, das, wie ich den Geraeuschen entnehmen kann, gerade gruendlich durchsucht wird. "Wait a moment" meint er und als die Durchsuchung beendet ist, hilft mir ein Soldat freundlich dabei, mich wieder aus dem feuchten Gras zu erheben. Oleg liegt noch auf dem Boden.

    Ich gehe zum Wagen, langsam. Zeige auf mein Taeschlein und frage, ob ich es oeffnen darf. Ich darf. Ich entnehme den Pass und reiche ihn dem Offizier, der ihn nach gruendlicher Durchsicht wieder zurueck gibt. "Please take your seat in the car and wait." Ich setze mich in den Wagen, waehrend Oleg aufstehen darf und nach hinten zum Kofferaum gefuehrt wird.


    Ein BTR-Schuetzenpanzer der ukrainischen Luftlandetruppen in der Naehe von Izium

    Nachdem Oleg kurze Zeit gebraucht hat, all die Taschen und Tueten, die die Soldaten aus dem Kofferraum genommen und auf dem Boden verteilt haben wieder einzuraeumen, setzt er sich in den Wagen, laesst den Motor an und langsam fahren wir davon. Ich nicke einigen Soldaten zu. Einige Soldaten nicken zurueck. Oleg schweigt.

    Als wir die Kolonne hinter uns gelassen haben, beginnt Oleg zu fluchen. "Блядь! Пиздец! Суки!" Ich schaue ihn verwundert an. "Warum fluchst Du denn? Die waren doch professionell und eigentlich ganz freundlich."
    "Ja, bljad', zu dir, bljad'. Mir - Suki - haben sie bljad' gesagt, bljad', dich wuerden sie bljad' gehen lassen, denn Du seist bljad'Auslaender bljad'. Bei mir, bljad', pisdez, bljad', wuerden sie sich jetzt in Ruhe ueberlegen, ob sie mich gleich erschiessen, bljad', zur Vernehmung nach Kiew ausfliegen, Suki, oder - bljad' - mich laufen lassen. Und dann hat mir einer noch mein iPad geklaut als er den Wagen durchsuchte. Bljad', pisdez, Suki, bljad'!" "Schei*e." sage ich und schweige, waehrend Oleg die naechsten 30 oder 40 Kilometer beliebige Kombinationen der drei Worte von sich gibt. Armer Kerl...

    Kurz hinter Kramatorsk treffen wir auf einen Wagen mit Kollegen. Wir halten an, steigen aus. Der eine Kollege, nennen wir ihn Massimo, steigt nicht aus seinem Wagen aus, sondern bleibt in der Tuer stehen. Er wirkt fast so, als sei er einem dieser Filme entsprungen, in denen Kriegsberichter vorkommen. Fast. Fast, denn er hat keine Schuhe an. Ich frage ihn verwundert, ob sie denn schon zum Entspannungsteil des Tages uebergegangen waeren. Massimo schaut mich an, und mit der Beilaeufigkeit, mit der man vielleicht ueber das gestrige Abendessen spricht, erklaert er, sie seien unter Moerserbeschuss geraten. "Die erste Granate haben wir noch fuer Zufall gehalten, aber nachdem der dritte Einschlag schon verdammt nahe war, mussten wir durch den Fluss fluechten."
    Gosh, denke ich und nehme einen tiefen Zug aus der Tuete, die da an mir vorueber schwebt... Ich gruebele. "Vielleicht sollten wir es so machen, wie in den 90ern. Grosses TV auf die Autos kleben..." aeussere ich meine Gedanken. Massimo erwidert, das haetten sie am ersten Tag probiert und seien sogleich unter Feuer genommen worden. Wahn-sinn!
    Massimo sagt zu mir noch "Jan, hier wird noch einer sterben." waehrend er sich wieder in's Auto setzt. Er sollte leider recht behalten.

    Wir fahren als Kolonne zurueck nach Donetsk. Nur so fuer alle Faelle...

    Im Hotel angekommen wechseln etwas ueber 2000 Grivna (~150 Euro) ihren Besitzer. Oleg schaut auf sein Geld. "Jan, tut mir leid, aber da fahre ich nie wieder hin." Ja, ich verstehe ihn. Ich nehme mir vor, mich gleich in der Hotelbar in Mojitos zu ertraenken...

  2. #12
    Free-Member
    Registriert seit
    11.11.2009
    Beiträge
    402

    Standard AW: Donbass-Tagebuch oder...
    Thread-Eröffner

    Zitat Bezug auf die Nachricht von Christian Ahrens Beitrag anzeigen
    Hi,

    spannende Geschichten, deren Fotsetzungen interessant zu werden versprechen....

    Erfrischend aufregend und ungewöhnlich. Hoffe, Dein Kehlkopf hat sich gut erholen können.
    Der tat nur einige Tage weh. Hab's schon schlimmer gehabt. Danke der Nachfrage!

    Gibts Dich irgendwo "offiziell" im Web?
    Theoretisch ja, praktisch nicht.
    Ich komme einfach nicht dazu, eine Website zu bauen. Jetzt haette ich gerade Zeit, aber keinen Zugriff auf mein Bildarchiv.

    Viele Grüße und take care.
    Danke!


    Zitat Bezug auf die Nachricht von haui1 Beitrag anzeigen
    Unglaubliche Einblicke in eine andere Welt. Weiß gar nicht, was ich sagen soll.
    Danke und Gruß
    Jan
    Danke und Gruss passt schon.


    Zitat Bezug auf die Nachricht von photoproject Beitrag anzeigen
    Damals wurde ich schlagartig Pazifist.
    Hi!
    Auch ich sehe mich als Pazifist, aber ohne dich zu kennen vermute ich, dass wir unter dem Begriff unterschiedliches verstehen.

    Wenn ich mir jetzt die von Dir beschriebene(n) Situation(en) vorstelle, dann frag ich mich, warum tust Du Dir das an? Warum setzt Du Dich freiwillig der Gefahr aus?
    Werde ich oefters gefragt. Nicht ganz leicht, eine adaequate Antwort zu geben. Versuche ich demnaechst mal.

    Warum soll das, was in der Ukraine passiert Gut und/oder Gerecht sein?
    Habe ich das gesagt, geschrieben oder anklingen lassen?

    Sollen sich doch diese nationalistischen Vollpfosten selber die Köpfe einhauen.
    Das Problem auf "nationalistische Vollpfosten zu beschraenken, zeugt davon, dass Du das Problem wirklich nicht verstehst. Da spielt vieles andere eine wesentlich groessere Rolle. Globale Politik, regionale Politik, Einfluss, Geld, persoenliche Animositaeten, Nationalismus, Patriotismus, ..., ...

    Ich verstehs nicht und noch weniger, wie man auch noch mit Anlauf mitten ins Zentrum springt...
    Wir lassen also die Berichterstattung ueber Kriege und Konflikte ganz bleiben? Oder wie soll ich das verstehen?

    fotografier lieber Hochzeiten
    Das ueberlege ich mir auch immer wieder mal. Aber dazu fehlt mir vor allem das Talent. Und wenn ich bei dem, was ich jetzt tue, ein Bild versemmele, schadet es nur mir. Wenn ich Hochzeitsbilder versemmele, dann schade ich dem Brautpaar. Noe, nicht so wirklich was fuer mich. Zumindest jetzt noch nicht.

    Pass auf Dich auf!
    Danke, das versuche ich immer.
    Gruss, Jan.

  3. #13

    Standard AW: Donbass-Tagebuch oder...

    Zitat Bezug auf die Nachricht von photoproject Beitrag anzeigen
    .... aber fotografier lieber Hochzeiten, da musst Du auch schweres Gerät schleppen, jedoch ist die Wahrscheinlichkeit Deines Überlebens wesentlich höher.
    Nein, auch keine gute Idee.

    Doch, Berichterstattung muss sein, und es gibt Leute, die das – aus sehr unterschiedlichen und aus sehr unterschiedlich guten Gründen – tun.

    Das ist eine wichtige Arbeit, trotz und gerade wegen ihrer widersprüchlichen Facetten.

    Trotzdem wünsche ich mir manchmal, dass die Zeitungen einmal in der Woche eine Ausgabe herausbringen würden, in denen ausschließlich positive Nachrichten stehen. Das wäre auch eine spannende Lektüre mit tollen Geschichten! :-)

    Eine Frage der Weltanschauung und des Temperaments. Für mich ein Grund, warum ich ausschließlich Leute fotografiere, die das, was sie tun, auch gerne tun. Und nicht solche, die von verrückten Militärs, entrückten Politikern oder sonstigen entgleisten Kräfte zu irgendetwas gezwungen werden. Wer wünscht sich eigentlich keinen Frieden? Und warum gibt es dann so wenig davon?

    Viele Grüße
    Christian

    www.christianahrens.de

  4. #14
    Free-Member Avatar von photoproject
    Registriert seit
    11.06.2009
    Beiträge
    358

    Standard AW: Donbass-Tagebuch oder...

    Auch ich sehe mich als Pazifist, aber ohne dich zu kennen vermute ich, dass wir unter dem Begriff unterschiedliches verstehen.
    Ich wollte/will Dir in keinster Weise etwas unterstellen, mir gings nur um mein Erlebnis einer Knarre vor der Nase.

    Werde ich oefters gefragt. Nicht ganz leicht, eine adaequate Antwort zu geben. Versuche ich demnaechst mal.
    Interessiert mich sehr, warum Du nicht lieber mit Frau/Kind/Hund/Katze heute Abend zu Hause auf der Couch gemütlich das Halbfinale schaust.

    Habe ich das gesagt, geschrieben oder anklingen lassen?
    Nein, war nur eine rethorische Frage.

    Das Problem auf "nationalistische Vollpfosten zu beschraenken, zeugt davon, dass Du das Problem wirklich nicht verstehst. Da spielt vieles andere eine wesentlich groessere Rolle., ..., ...
    Doch, das ist mir schon klar. Es war nur ein hilfloser Versuch, mir das einfach zu machen.

    Wir lassen also die Berichterstattung ueber Kriege und Konflikte ganz bleiben? Oder wie soll ich das verstehen?
    Es wäre schön, wenn Du nicht über Kriege und Konflikte berichten müsstest. Dann könntest Du...Hochzeiten? fotografieren. ;-)
    Es bezog sich darauf, warum Du Dein leben jeden Tag mit kugelsicherer Weste in der Ukraine aufs Spiel setzt, statt...tja...

    Pass auf Dich auf, ich will/wir wollen hier noch mehr von Dir lesen!

  5. #15
    Free-Member
    Registriert seit
    11.11.2009
    Beiträge
    402

    Standard Alles Faschisten...
    Thread-Eröffner

    Akhmetov hatte dazu aufgerufen, hupend durch Donetsk zu fahren, um den Separatisten die Meinung der Mehrheit deutlich zu machen. Nun, zumindest jener Mehrheit, die auf Akhmetov - den Oligarchen, der jeden unterstuetzt, solange dies seinen Interessen dient - hoert.
    Ich stehe nun an der Kreuzung nicht weit vom Gebaude der 'Verwaltung der Donetsker Volksrepublik' und will Fotos machen. Einige Frauen, Rentner und Unterschichtler werfen Milch ( O_o ) und Steine auf die wenigen PKW, die hupend vorbeifahren.

    Nach wenigen Aufnahmen ist Schluss. Ein Mann baut sich neben mir auf. "Du fotografierst hier nicht, Faschist." Ich gucke ihn ein wenig verstaendnislos an. "Ich bin Journalist." "Dich hat der Prawy Sektor geschickt, um Fotos fuer die Todesschadrone zu machen" meint der Mann. Ich atme tief durch und frage mich, was der Mann vielleicht zu sich genommen haben koennte, was ihm nicht bekommen ist... "Mich hat niemand geschickt, ich bin Fotokorrespondent." "Faschist!" sagt der Mann. "Zeig mir Deinen Ausweis" verlangt er. Ich habe nicht die Absicht, diesem Verrueckten meinen Ausweis zu zeigen. "Wieso denken Sie, dass ich Faschist sei?" frage ich ihn und fahre fort "meine Eltern mussten vor den Faschisten aus Brasilien nach Deutschland fluechten." Stimmt zwar nicht, klingt aber gut. Er faehrt fort, mich zu Duzen, was in dieser Haemisphere gegenueber Fremden eine ziemliche Unverschaemtheit ist. "Du machst Werbung fuer den Prawy Sektor. Deine Tasche verraet dich." "Meine Tasche?" frage ich ein wenig verstaendislos und gucke auf den Turnbeutel, in dem ich meinen Helm mit mir herumtrage. Kann ja nicht wahr sein, denke ich, waehrend mir die Erklaerung fuer seine Anschuldigungen schlagartig bewusst wird. Der Beutel setzt sich aus zwei unterschiedlich farbigen Haelften zusammen. Die eine rot, die andere schwarz. Die Farben des 'Prawy Sektor', jener radikalen Organisation, die ultra-nationalistisch ist...


    Demonstrationszug junger Anhaenger des 'Prawy Sektor' auf dem Weg zur Botschaft Russlands in Kiew.

    Shit! fluche ich in Gedanken waehrend ich ihm die Aufschrift auf dem Beutel zeige. 'Umbro' sagt mir zwar nichts, aber ich hoffe, dass das so was aehnliches wie 'Adidas' ist. "Das ist doch nur ein Sportbeutel, sehen Sie, Marke Umbro" erklaere ich ihm in der Hoffnung, das Problem damit erledigen zu koennen. "Das sind Faschisten, die den Prawy Sektor finanzieren" entgegnet er. "Sonst wuerden sie das nicht so produzieren. Westliche Agenten. Und Du wirst uns hier nicht mehr schaden." Waehrend ich noch darueber sinniere ob der einfach nur paranoid ist, oder ob der klinische Befund eine ernstere Stoerung aufzeigen wuerde, gesellt sich ein zweiter Mann zu uns. "Gibt es hier Probleme?" fragt er. Der paranoide erklaert dem neu hinzugekommenen seine Sicht der Dinge: "Ich habe einen Agenten des Prawy Sektor enttarnt, der Fotos von unseren Frauen macht." Ich kommentiere das mit einem vernehmbaren Seufzer und der Feststellung "Ich bin Fotokorrespondent und will zeigen, dass die Menschen hier gegen die Provokation Akhmetovs demonstrieren." Manchmal muss man die Wahrheit halt im passenden Licht darstellen...

    "Zeigen Sie mir Ihre Akkreditierung." verlangt der Neue. Ich gucke mich hilfesuchend um. Von den Frauen ist nichts zu erwarten; ebensowenig von den beiden Milizionaeren, die bemueht dienstlich zu wirken versuchen, waehrend sie dem Treiben der Steine- und Milchwerfer tatenlos zusehen. Juri steht mit seinem Wagen etwa hundert Meter weiter, sitzt aber im Wagen. Damned. Angriff ist die beste Verteidigung, denke ich. "Wer sind Sie denn? Haben Sie einen Ausweis der Donetsker Volksrepublik? Zeigen Sie ihn mir und ich zeige Ihnen gerne meine Akkreditierung." Er stutzt, waehrend der Erste meint "Du kommst mit uns zur Verwaltung. Da kuemmert man sich um Faschisten." Ich denke mit Schaudern an das, was mir gestern ein Kollege erzaehlt hat, den man auch nur kurz ueberpruefen wollte. Zur Begruessung gab's einen Tritt in das Glockengelaeut... Noe, brauche ich nicht. Will ich nicht.

    "Ok" sage ich "ok, gehen wir zur Verwaltung. Kein Problem. Ludmilla*, die Leiterin der Presseabteilung, kennt mich." "Aber" fahre ich fort, "nachdem man Ihnen dort sagen wird, dass ich ein normaler Fotograf und kein Feind der DVR bin, wird man sich dort vielleicht fragen, ob nicht in Wirklichkeit Sie ein Provokateur sind, der Journalisten Probleme macht, damit diese in den westlichen Medien schlecht ueber die Volksrepublik berichten..."
    Man sieht ihm an, dass das gesessen hat. Vermutlich macht auch er sich jetzt Gedanken ueber sein Glockengelaeut.... "Gehen wir?" frage ich. Der Zweite meldet sich wieder zu Wort. "Sie muessen verstehen, dass wir vorsichtig sind. Kiew hat hier viele Agenten, die uns schaden wollen." "Ich habe nichts zu verbergen. Gehen wir?" frage ich nochmal, auf mein Glueck hoffend. "Das wird nicht noetig sein" meint der Erste und hebt seine Faust. "Auf den Sieg!" Ich hebe meine Faust "Auf den Frieden."

    Schnell entferne ich mich zum Auto und nehme mir vor, nie wieder mit dem Beutel in die Oeffentlichkeit zu treten. Zumindest nicht hier.
    Geändert von Phoyager (09.07.2014 um 15:49 Uhr)

  6. #16
    Free-Member
    Registriert seit
    11.11.2009
    Beiträge
    402

    Standard Wo sind wir denn hier?
    Thread-Eröffner

    "Wo sind wir denn hier?" Das ist eine Frage, die ich mir immer oefter stellte und immer seltener beantworten konnte...

    Nein, ich bin zwar nicht mehr zwanzig, aber an Altersdemenz, wegen der ich meinen momentanen Aufenthaltsort vergessen koennte, leide ich noch nicht. Und ich trinke zwar, aber ich befinde mich auch nicht in einem laenger andauernden Delirium. Das Problem ist ein anderes...

    Als ich in Kiew eingereist bin, bekam ich einen Einreisestempel der Ukraine in den Pass gedrueckt. Und wenn ich Google Maps aufrufe, dann wird Donezk als Teil der Ukraine gezeigt. Aber meine Akkreditierung samt Stempel sagt, dass ich in der 'Donezker Volksrepublik' registriert wurde. Diese Bezeichnung ist auch auf den vielen Aufklebern, Wimpeln und Flaggen zu lesen, die man ueberall sieht. Aber dann wurde 'Neurussland' ausgerufen. 'Neurussland' umfasste mindestens den Bereich der 'Donezker Volksrepublik'. Mindestens, denn eventuell umfasste es zusaetzlich auch den Bereich der 'Lugansker Volksrepublik'. Aber irgendwie liefen die Verhandlungen zwischen den beiden Volksrepubliken nicht so toll, so dass 'Neurussland' zwar beschlossen, aber nie gegruendet wurde. Dafuer wandte man sich nach einiger Zeit an die Oeffentlichkeit und verkuendete, dass nunmehr die 'Gemeinschaft der Neurussischen Republiken' entstehen wuerde. Das war ungefaehr zu dem Zeitpunkt, als auf einer impromptu Pressekonferenz vor Akhmetovs Haeuschen bekanntgegeben wurde, dass eine neue Waehrung eingefuehrt werden wuerde, die man weder an Dollar, Euro, Rubel noch Yen koppeln wolle. Dann war laengere Zeit nichts mehr zu hoeren. Spaeter verkuendeten die Herren Regierenden in Lugansk, dass 'Neu-Neurussland' geschaffen worden sei...

    Das Problem beschraenkt sich aber nicht nur auf die Region, denn im Radio hatte der 'Volksbuergermeister' von Sloviansk, Ponomaryov, verkuendet, dass zu Ehren des Moskauer Ober-Tschekisten einige Staedte umbenannt werden: Donezk solle nunmehr 'Putino' heissen, aber Donezk ist Kummer gewohnt, lautete der Name der Stadt doch ueber viele Jahre Stalino... Aus Lugansk sollte 'Putingrad' werden und aus der Kleinstadt Horlivka - ich trauete meinen Ohren kaum - 'Vladimirvladmirovka' werden... Irgendwie hat es mich dann auch irgendwann spaeter nicht mehr sehr verwundert, als ich hoerte, dass Ponomaryov von Strelkov wegen exzessiven Drogenkonsums inhaftiert und bald danach angeblich kurzerhand erschossen wurde, nachdem er ein Telefonat mit Putin verlangte.

  7. #17
    Free-Member
    Registriert seit
    11.11.2009
    Beiträge
    402

    Standard Mein Baum - Dein Baum I/II
    Thread-Eröffner

    Eigentlich waren wir auf dem Weg nach Norden, um uns dort einem humanitaerem Sujet zu widmen, aber dann rief Juri mich an und meinte, wir muessten unbedingt zum Flughafen kommen. Dort tobe ein heftiger Kampf...
    Petr ist von der Idee nicht sonderlich begeistert, denn Flughafen bedeutet, dass dort a) viele Journalisten sind und somit b) wenig Gelegenheiten auf exklusives Material. Ich hoffe auf Action und verkaeufliche Aufnahmen, denn oekonomisch hat sich der Gig bislang als grosser Flop erwiesen. Olga stimmt auch fuer den Flughafen, Petr ist somit in der Minderheit und wir drehen um. Ich bin unzufrieden mit mir selbst, denn aus Vorsicht habe ich die 1, das 70-200 und auch den TC im Hotel gelassen und das erweist sich jetzt als Fehlentscheidung...

    Schon aus einiger Entfernung koennen wir eine Rauchsaeule sehen, die sich in die Hoehe schraubt. Ungefaehr dort, wo sich der Flughafen befindet. Die leichten Zweifel am Wahrheitsgehalt der Information, die meine Begleiter hegten, verfliegen. Da geht was ab.

    Mit Hilfe unserer Ausweise passieren wir zwei Strassensperren der Miliz und schon sind wir auf der Zufahrtsstrasse zum Flughafen. An der Einmuendung einer Nebenstrasse sehen wir eine Gruppe Kollegen stehen. Vor uns Leere. Das wird schon seinen Grund haben, warum die sich dort zum Kaffekraenzchen zusammengefunden haben...

    Wir halten an und da wir den Fahrer nicht kennen - meine Begleiter wollten's ja unbedingt billiger haben - laden wir unser Gepaeck aus. Mein Rucksack, die Fressalien und das Wasser laden im Gebuesch, waehrend einer von uns zahlt. Freundliches Nicken zu den umstehenden Kollegen, ein Blick in die Runde, wen man denn so kennt, welche Agenturen schon vor Ort sind.

    Ich lerne Gil kennen. Gil ist Gallier. Er kommt aus diesem kleinen, wehrhaften Land im Nahen Osten, welches von vielen Feinden umgeben ist. Das merkt man ihm an. Er strahlt eine unendliche Ruhe und Gelassenheit aus. Ohne vorher ein Wort mit mir gewechselt zu haben, sagt er mit leiser, entspannter Stimme "Left." Ich stutze, begreife, drehe mich zur Seite, um auf der anderen Strassenseite eine kleine Gruppe schwer bewaffneter Seperatisten - vermutlich Angehoerige des Battalions 'Vostok' - vorruecken zu sehen; nehme meine Kamera hoch, aergere mich innerlich darueber, das ich das Tele im Hotel gelassen habe, denn 105mm am Vollvormat bedeutet, dass ich spaeter erheblich croppen muss. Ich schiesse Bilder. Mittagszeit. Sch*ss Licht. Warum muss das alles immer zu solchen Tageszeiten ablaufen? Haben die noch nie was von Morgen- oder Nachmittagslicht oder gar Blauer Stunde gehoert?


    Angehoerige einer Eliteeinheit der prorussischen Separatisten ruecken in Richtung des Donezker Flughafens vor

    Nicht weit entfernt fallen einige Schuesse. Es ist wohl an der Zeit, die Sauna aus dem Rucksack zu holen und anzuziehen... Petr hat derweil einen Kollegen aufgetrieben, der damit einverstanden ist, dass wir unser Gepaeck bei ihm im Taxi verstauen. Petr macht sogar den Packesel und schleppt das alles zu dem Wagen, der wohl etwas weiter entfernt steht, denn Petr ist ziemlich lange unterwegs. So lange, dass ich beginne, mir Sorgen zu machen Derweil ist bei uns an der Strassenkreuzung fuer Kurzweil gesorgt: Ein Ukrainer, dessen Gehirn entweder stark von Alkohol zerfressen oder sonstwie in Mitleidenschaft gezogen wurde, taperte die Strasse in Richtung Flughafen und wurde von Anwohnern in unsere halbwegs sichere Nebenstrasse gezogen. Er will aber nach Hause. Auf die Frage, wo denn sein Zuhause sei, weist er vage in Richtung des Flughafens. Die Erklaerungen, dass dort gerade schwere Gefechte stattfinden, scheinen nicht durchzudringen, denn alle paar Minuten macht er sich erneut auf den Weg um wieder von irgend jemandem zurueckgeholt zu werden. Schliesslich reisst er sich das Hemd runter und erklaert, er sei ja schon kriegsverwundet, aber ihm sei ja nicht wirklich was geschehen. Die haessliche Narbe auf seinem Bauch zeugt davon, dass er entweder die Wahrheit sagt, oder irgendwann auf einen verdammt miesen Chirurgen gestossen ist. Oder beides. Zur Abwechslung holt ihn mal wieder ein Kollege zurueck und ich mache einige Erinnerungsaufnahmen.


    Ein Fotokorrespondent zieht waehrend der Kaempfe um den Donezker Flughafen einen ukrainischen Zivilisten in Sicherheit [NMZ]

    Petr findet sich ein und ich atme auf, dass er unbeschadet ist. Bald darauf macht sich der Grenzdebile wieder auf den Weg und diesmal haelt ihn niemand mehr auf, denn alle haben wohl genug von dem Theater. Waehrend er auf der ansonsten leeren Strasse langsam in Richtung Flughafen tapert, verfolgen ihn einige Kollegen durch ihre Teleobjektive. Koennte ja sein, dass es ihn gleich erwischt; das gaebe dann eine nette Bilderserie. Der Job ist manchmal ganz schoen zynisch. Ich aergere mich abermals, dass mein Tele sicher, aber voellig nutzlos im Hotelzimmer liegt...

    Etwa 150, 200 Meter weiter muendet die Strasse in einen Kreisverkehr, an dem zwei Milizionaere stehen. Auch sie versuchen den Schwachkopf aufzuhalten, sind dabei aber reichlich unmotiviert und lassen ihn ziehen. Das wiederum motiviert einige Kollegen, sich auch in diese Richtung auf den Weg zu machen. Dort gibt's garantiert jene guten Bilder, die es hier an dieser Nebenstrasse nicht gibt, denken die wohl. Ich denke daran, dass in meiner Kasse Ebbe herrscht und beschliesse, ihnen mit ein wenig Abstand zu folgen.

    Am Rondell fangen uns die Milizionaere ab. Einer erklaert mir, dass es hier gefaehrlich sei, dass es Kaempfe gaebe. 'Ach nee, Du Intelligenzbestie, was Du nicht sagst, ich bin nur zufaellig hier und die Weste trage ich wohl, weil ich abnehmen will, oder was?' denke ich mir, waehrend ich bestmoeglich versuche, den beamteten Erpresser zu ignorieren. Nein, ich habe nichts gegen Polizisten im Allgemeinen. Es ist nur die Lebenserfahrung, die mich gelehrt hat, dass gefuehlte 98% aller ukrainischen Milizionaere genau das sind.

    Es wird hektisch. Eine ganze Anzahl Separatisten erscheint auf der Buehne. Die beiden Milizionaere sind machtlos gegen die Repraesentanten der interessierten Oeffentlichkeit, die - getrieben von dem Zwang Nachrichten und Bilder zu liefern - in Richtung Separatisten draengen. Ein verwundeter Kaempfer wird herangetragen und sofort bildet sich um ihn ein Halbkreis aus Fotografen, Kamaraleuten und Bloggern. Ich will mir das nicht antun - und ihm nicht. Ich fotografiere aus einer anderen Perspektive, kriege damit aber die Verletzung nicht mit auf's Bild. Tonne. Einige Kollegen helfen, den bemitleidenswerten Kerl, dem ein Granatfragment wohl zu einer kostenlosen Mitgliedschaft in einem Maedchenchor verholfen hat, in einen PKW zu verladen.


    Zwei separatistische Kaempfer waehrend der Kaempfe um den Donezker Flughafen

    Die Schiesserei wird staerker, kommt naeher. Zwei Separatisten beziehen Stellung in einem Busch, nicht weit von mir. Ich ueberlege kurz, hadere mit mir. Ich brauche ein Bild, verdammt nochmal, denke ich und renne geduckt in die Buesche. Das sind die Momente, in denen der Koerper den Ausnahmezustand ausruft. Die Welt um mich herum veraendert sich zu einem Cinemascope Breitbildfilm, der in leichter Zeitlupe ablaeuft. Man nimmt viel mehr wahr. Bilder, Geraeusche, Gerueche. In meinem Kopf beginnt eine Stoppuhr zu laufen. Ich bin dicht neben den beiden. Noch einen Meter weiter? Lieber nicht. Meine Birne ist in all dem Gruenzeug sicher gut sichtbar. Bildausschnitt. Ich brauche ein Bild! Schon 3 Sekunden hier. Risiko. Passt schon. 4 Sekunden. Der Verschluss loest aus, waehrend der eine nahezu zeitgleich seinen Kopf zu mir hinwendet. 5 Sekunden. Shit, naja, ich an seiner Stelle wuerde auch mal gucken wollen, wer da hinter mir durch die Buesche kreucht... Klick, noch ein Bild. 6 Sekunden. Datt wird mir hier zu heiss. Rueckzug. Nach ein paar Metern stehe ich wieder auf dem Fussweg. Gucke ein wenig verwundert auf die Gruppe Kollegen, die, den hohen Bordstein als Deckung nutzend, in der Gosse liegt. Sinniere, ob ich ein Bild machen soll. Schuesse fallen. Entscheide mich dagegen, renne auf die andere Strassenseite, Kollegen folgen. Dort angekommen drehe ich mich um. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie genau dort, wo ich noch vor wenigen Sekunden stand, eine Granate explodiert...

    Waehrend ein Teil meines Gehirns noch darueber sinniert, ob es sich wohl um eine Gewehrgranate oder um ein verirrtes Geschoss aus einem automatischen 30mm Granatwerfer gehandelt hat, beginne ich, Distanz zwischen den Kampfschauplatz und mich zu bringen. Laufe den Fussweg entlang, gefolgt von dem Milizionaer, der mir vorhin schon auf den Senkel gegangen ist und das jetzt fortsetzt: "Schneller, das ist hier gefaehrlich." treibt er mich an. Mensch, der koennte ja glatt einen Antrag bei Mensa einreichen.

    Mein Blick faellt auf eine Kastanie. Die steht garantiert schon seit dreissig Jahren hier am Strassenrand. Der Baum hat einen schoenen, breiten Stamm, der mir anstaendigen Schutz bieten wird. Der Milizionaer lauft hinter mir. Ich komme an meinem Baum an, gehe dahinter in Deckung, blicke zurueck. Schuesse. Ich kann sehen, wie ein suedamerikanischer ... Kollege moechte ich ihn nicht nennen ... Saukerl einen polnischen Fotografen, meinen Kumpel Marcin, festhaelt und ihn als lebendes Schutzschild missbraucht. Marcin reisst sich los. "Thank you! ... A*hole!" schreit er den Rauschebart an. Der Suedamerikaner hat Glueck, dass er das nicht mit mir gemacht hat. Von mir haett's Zahn-Puzzle gegeben. Egal, wer da gerade in der naeheren Umgebung dabei ist, mit moderner Wehrtechnik anderen das Licht auszublasen.

    Der Milizionaer ist jetzt auch an meinem Baum. Schiebt mich zur Seite. "Das ist mein Baum, der naechste ist Ihrer." Mein Blick faellt auf den mir zugewiesenen Baum, der es in seinem Leben nicht immer leicht gehabt haben wird. Bemitleidenswert. An der dicksten Stelle hat der Stamm vielleicht mal 30cm Durchmesser...

    Ich entscheide mich, bis zur uebernaechsten Kastanie zu laufen. Die ist aber erst 30 Meter weiter. Und ich habe nur die 105mm. Schei*dreck. Ich beginne zu laufen, irgend jemand hat in der Sauna Holz nachgelegt und ich sollte wirklich weniger rauchen. Meine Wut auf den Milizionaer formt meine Gedanken 'Und dir, Du korrupten Stuecks lebensunwerter Biomasse wuerde ich gerne eine Handgranate in deine Weste schieben, und dir dann dabei zusehen, wie Du implodierst...' denke ich, waehrend ich auf die Kastanie zulaufe. Mein Gehirn hat genug, denn als ich mich liebevoll an meine Kastanie schmiege, gleiten meine Gedanken von Handgranaten und implodierenden Milizionaeren zu Mike Krueger: "Du musst den Nippel durch die Lasche zieh'n und mit der kleinen Kurbel ganz nach oben dreh'n."...

    Ein Blick zurueck. Ein Separatist laeuft auf mich zu. Mein alter Bekannter aus dem Busch. Schnell abgedrueckt. Tonne denke ich, als ich mir das Bild spaeter ansehe. Hat alles, was ein schlechtes Bild haben muss. Abgeschnittenes Bein, Journalistenmeute im Hintergrund. Und doch wird das Bild von einigen Medien veroeffentlicht. Die Kollegen haben an diesem Ort also wohl auch nicht so tolles Material gekriegt...

    Die Knallerei geht richtig los und kommt nun auch intensiv vom anderen Ende der Strasse. Wir denken wohl alle das gleiche, denn die versammelte Horde Journalisten beginnt, im Lauf- oder zumindest Eilschritt, durch die Nebenstrasse Distanz zwischen sich und die Schiesserei zu bringen. Bloss nicht im Kreuzfeuer enden!

    Wir bewegen uns schnell durch die Strasse. Ich atme schwer. Die grosse Wasserflasche ist an der Kreuzung zurueckgeblieben. Ich teile den Rest aus meiner kleinen Flasche mit einem Kollegen. Der Blick geht gehetzt nach vorne. Wo ist Deckung zu finden, wenn ich sie brauchen sollte? Einige Hauseingaenge, ein Sandhaufen und ein Auto landen auf meiner Liste im Kopf. Ein Kampfflugzeug ist zu hoeren. Der war schon vorhin mehrfach da, jetzt ist er aber naeher und ... niedriger. Der wird doch wohl nicht...

    Am Himmel ist nichts zu sehen. So sehr ich mich auch umsehe. Verdammt, wo ist der Kerl? Wenn Kampfflugzeuge zum Bodenangriff uebergehen, dann veraendert sich in ausgesprochen charakteristischer Weise ihr Geraeusch. So, wie jetzt, bei diesem Flieger, den ich zwar hoere, aber noch immer nicht sehen kann. Fuck. Ich suche die Naehe der Grundstuecksmauern, waehrend ich mich bemuehe, den Luftakrobaten ausfindig zu machen. 'DrrDrrDrrDrr' toent das Bordgeschuetz des unsichtbaren Flugzeugs. Dass ich den Vogel nicht sehen kann, ist gut, denn um die Ecke koennen die nicht schiessen... 'DogDogDogDog' schlagen die Geschosse irgendwo in der Naehe ein. Wir entfernen uns weiter vom Ort des Geschehens. Der Pilot fliegt einen weiteren Angriff. 'DrrDrrDrrDrr' ... Pause ... 'DogDogDogDog' spielt er seine Melodie. Am Ende der Strasse rechts, an der Hauptstrasse links. Kommen an einem Haus vorbei, an dem uns die Bewohner Schaeden zeigen. Vielleicht sogar von dem Jet, den wir gehoert haben. Jetzt hat das Schlafzimmer eine Zwangsbelueftung...

    Die Sauna leistet ganze Arbeit. Ich reisse den Klettverschluss auf, um fuer ein wenig Waermeabfluss zu sorgen. Auf der Haeuserseite natuerlich. Sie wissen schon, safety first... Die Antwort auf meine Frage, weshalb wir hier durch die Gegend latschen und nicht einfach den Taxifahrer, der auch unser ganzes Gepaeck hat, telefonisch zu uns beordern, versetzt mich in fassungsloses Erstaunen: "Der ist schon nach Hause gefahren." "You are kidding me, aren't you?' entgegne ich. "No." kriege ich zu hoeren, waehrend wir weiter gehen. Irgendwo treffen wir auf ein Taxi. Zu sechst quetschen wir uns in den PKW und lassen uns zum nahegelegenen Bahnhof fahren. Dort liegt auf dem Vorplatz ein menschlicher Koerper, zugedeckt mit einem weissen Tuch. Irgend jemand empfand wohl die Parkgebuehren als zu hoch, denn, so erklaert uns ein Miliz-Offizier, ein Wagen mit Bewaffneten kam, sie stiegen aus, erschossen den Parkplatzwaechter, stiegen wieder ein und fuhren davon. Waehrend wir auf ein anderes Taxi warten, lasse ich mir die Geschichte mit unserem Taxi erklaeren: Der Fahrer sollte eigentlich warten. Dann hoerte er aber Schuesse und dachte sich, dass er besser 100 oder 200 Meter weiter entfernt wartet. Dann kam er wohl zum Schluss, dass er, wenn er schon ein wenig weiter faehrt, auch gleich noch ein wenig weiter fahren kann. Nach Hause naemlich. Und dort hat er sich gleich den Vodka geschnappt und die Beruhigungsphase eingeleitet. Zumindest geht er an's Telefon und erklaert uns, wo wir unseren Kram abholen und ihn bezahlen duerfen. Sind ja nur 25 Kilometer von hier. Ein Hubschrauber kommt. Petr und ich versuchen, ihn zu fotografieren. "You got him?" fragt er mich. "Nope. You?" ist meine Antwort. Petr schuettelt den Kopf. Wir hoeren, wie der HIND am Flughafen seine toedliche Arbeit verrichtet. Das Rotorengeraeusch wird lauter. Er kommt also zurueck. In dieser Richtung ist auch das Gebaeude des Bahnhofs. 'Donezk' ist dort mit grossen Buchstaben zu lesen. Das waere ein Bild. Der Chopper kommt leider ein wenig von der Seite. Petr und ich versuchen, ihn in's Bild zu bekommen. Klick-Klick-Klick loest meine Kamera aus. Wir sehen uns an. "Got him this time?" frage ich, waehrend ich Bilder auf dem Display betrachte. "No, no luck." entgegnet Petr. Ich hatte Glueck, habe ihn scharf erwischt. Aber ohne Kontext ist das Bild wertlos. Koennte auch auf der ILA aufgenommen worden sein. Shit.


    Ein ukrainischer Mi-24 Kampfhubschrauber am Himmel ueber Donezk

    Fortsetzung im naechsten Post...

  8. #18
    Free-Member
    Registriert seit
    11.11.2009
    Beiträge
    402

    Standard Mein Baum - Dein Baum II/II
    Thread-Eröffner

    Unser Taxi kommt. Wir fahren zu dem Idioten, der unseren Krempel hat, und kehren dann, nochmals 20 Kilometer, zu meinem Hotel zurueck. Ich habe an der Rezeption was zu erledigen. Mein Blick faellt auf ein Schild, das dort aufgestellt wurde. Ich breche prustend vor Lachen zusammen. Der Rezeptionist guckt mich verdattert an.




    Er fragt mich, weshalb ich lache. "'cause it's an very kind way of saying 'Our airport was bombed, strafed, shot to shreds and you are stuck here.' " entgegne ich. Er guckt mich an. "I'm sorry sir, we don't have as much experience with war as you have. We still have to learn how to write this correctly." Lachend gehe ich zum Fahrstuhl und denke an die Mojitos, die ich gleich bestellen werde...

  9. #19
    Full-Member
    Registriert seit
    06.02.2009
    Beiträge
    178

    Standard AW: Donbass-Tagebuch oder...

    Interessant. Man merkt aber deutlich das Du verrohst.
    Du musst Abstand von Krisenherden gewinnen und nicht gleich weiter nach Gaza fliegen!

  10. #20
    Free-Member
    Registriert seit
    18.07.2011
    Beiträge
    65

    Standard AW: Donbass-Tagebuch oder...

    wahnsinn, ich bin tief beeindruckt von dem hier geschriebenen. ich ziehe meinen hut vor dir. sowohl die beschreibungen als auch die fotos bringen die tatsache ans licht - so wie es wirklich ist. was uns die nachrichten verschweigen. das ist es was einen kriegsreporter ausmacht. mir fallen da gleich reihenweise irgendwelche spielfilme ein (deren titel ich leider nicht mehr weiß - aber bruchstückhafte bilder aus diesen filmen)

    wir sind allesamt vielzusehr mit unserem eigenen leben beschäftigt und haben verlernt mal über den tellerand zu sehen - solche leute wie du bringen uns mit diesen fotos und mit den berichten wieder nahe, dass es ein leben fern von konsum und alltag gibt. in dem land sterben menschen und das muss gezeigt werden.

    meinen allerhöchsten respekt vor deiner arbeit.

Seite 2 von 4 ErsteErste 1234 LetzteLetzte

Stichworte

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •