Ich tweete eine Warnung. "National guard at checkpoint east of Starovarvarovka is very tense. Approach with utmost care!"
Wir sind zwei, vielleicht drei Kilometer gefahren, als wir auf eine Kolonne Fallschirmjaeger treffen, die an einer Kreuzung steht. Drei BTR und drei oder vier Lastwagen. Eine ganze Anzahl Soldaten ist abgesessen und sichert die Umgebung.
Emblem der ukrainischen Luftlandetruppen auf einem BTR Schuetzenpanzer
Wir naehern uns langsam. Es ist sofort zu sehen, dass wir es hier mit Profis zu tun haben. Klare Handzeichen fordern uns auf, zunaechst anzuhalten um uns dann zu zeigen, dass wir heranfahren und rechts zum Stehen kommen sollen. Niemand richtet seine Waffe auf uns, aber die Verschluesse sind offen, die AK somit entsichert. Russische Technik ist so simpel und oft so gut durchdacht...
"Aussteigen und auf den Boden legen", lautet die Anweisung, die uns einer der Soldaten gibt. Die vorherigen Ereignisse noch in lebhafter Erinnerung steige ich vorsichtig aus, waehrend ich in meiner linken Hand das Band meines Presseausweises halte, der in der lauen Brise lustig hin und her baumelt. Ich lege mich hin und mache den Geier. Arme zu den Seiten hin ausgestreckt, die Handflaechen nach oben. "Ist das so in Ordnung?" frage ich. "Normalne" - in Ordnung - lautet die lapidare Antwort eines der Fallschirmjaeger, waehrend ein anderer vorsichtig an mich herantritt und mich abtastet. Ein anderer tritt an mich heran, ich kann ihn kaum sehen. "You're a journalist? Show me your ID please." sagt er, vermutlich der kommandierende Offizier, in nahezu akzentfreiem Englisch. Ich reiche ihm den Ausweis. Er fragt mich nach meiner Akkreditierung. In Unkenntnis der Tatsache, dass der ukrainische Geheimdienst SBU zwischenzeitlich ein Akkreditierungsverfahren fuer die ATO-Zone (ATO = Anti-Terroristische-Operation) eingefuehrt hat, belehre ich ihn, dass es in der Ukraine seit einigen Jahren keine Akkreditierung mehr gibt und ich den ganzen Winter ueber auf dem Majdan ohne Akkreditierung gearbeitet habe. Anscheinend kann ich ihn ueberzeugen, denn er fragt nach meinem Reisepass. Der wiederum liegt noch im Auto, das, wie ich den Geraeuschen entnehmen kann, gerade gruendlich durchsucht wird. "Wait a moment" meint er und als die Durchsuchung beendet ist, hilft mir ein Soldat freundlich dabei, mich wieder aus dem feuchten Gras zu erheben. Oleg liegt noch auf dem Boden.
Ich gehe zum Wagen, langsam. Zeige auf mein Taeschlein und frage, ob ich es oeffnen darf. Ich darf. Ich entnehme den Pass und reiche ihn dem Offizier, der ihn nach gruendlicher Durchsicht wieder zurueck gibt. "Please take your seat in the car and wait." Ich setze mich in den Wagen, waehrend Oleg aufstehen darf und nach hinten zum Kofferaum gefuehrt wird.
Ein BTR-Schuetzenpanzer der ukrainischen Luftlandetruppen in der Naehe von Izium
Nachdem Oleg kurze Zeit gebraucht hat, all die Taschen und Tueten, die die Soldaten aus dem Kofferraum genommen und auf dem Boden verteilt haben wieder einzuraeumen, setzt er sich in den Wagen, laesst den Motor an und langsam fahren wir davon. Ich nicke einigen Soldaten zu. Einige Soldaten nicken zurueck. Oleg schweigt.
Als wir die Kolonne hinter uns gelassen haben, beginnt Oleg zu fluchen. "Блядь! Пиздец! Суки!" Ich schaue ihn verwundert an. "Warum fluchst Du denn? Die waren doch professionell und eigentlich ganz freundlich."
"Ja, bljad', zu dir, bljad'. Mir - Suki - haben sie bljad' gesagt, bljad', dich wuerden sie bljad' gehen lassen, denn Du seist bljad'Auslaender bljad'. Bei mir, bljad', pisdez, bljad', wuerden sie sich jetzt in Ruhe ueberlegen, ob sie mich gleich erschiessen, bljad', zur Vernehmung nach Kiew ausfliegen, Suki, oder - bljad' - mich laufen lassen. Und dann hat mir einer noch mein iPad geklaut als er den Wagen durchsuchte. Bljad', pisdez, Suki, bljad'!" "Schei*e." sage ich und schweige, waehrend Oleg die naechsten 30 oder 40 Kilometer beliebige Kombinationen der drei Worte von sich gibt. Armer Kerl...
Kurz hinter Kramatorsk treffen wir auf einen Wagen mit Kollegen. Wir halten an, steigen aus. Der eine Kollege, nennen wir ihn Massimo, steigt nicht aus seinem Wagen aus, sondern bleibt in der Tuer stehen. Er wirkt fast so, als sei er einem dieser Filme entsprungen, in denen Kriegsberichter vorkommen. Fast. Fast, denn er hat keine Schuhe an. Ich frage ihn verwundert, ob sie denn schon zum Entspannungsteil des Tages uebergegangen waeren. Massimo schaut mich an, und mit der Beilaeufigkeit, mit der man vielleicht ueber das gestrige Abendessen spricht, erklaert er, sie seien unter Moerserbeschuss geraten. "Die erste Granate haben wir noch fuer Zufall gehalten, aber nachdem der dritte Einschlag schon verdammt nahe war, mussten wir durch den Fluss fluechten."
Gosh, denke ich und nehme einen tiefen Zug aus der Tuete, die da an mir vorueber schwebt... Ich gruebele. "Vielleicht sollten wir es so machen, wie in den 90ern. Grosses TV auf die Autos kleben..." aeussere ich meine Gedanken. Massimo erwidert, das haetten sie am ersten Tag probiert und seien sogleich unter Feuer genommen worden. Wahn-sinn!
Massimo sagt zu mir noch "Jan, hier wird noch einer sterben." waehrend er sich wieder in's Auto setzt. Er sollte leider recht behalten.
Wir fahren als Kolonne zurueck nach Donetsk. Nur so fuer alle Faelle...
Im Hotel angekommen wechseln etwas ueber 2000 Grivna (~150 Euro) ihren Besitzer. Oleg schaut auf sein Geld. "Jan, tut mir leid, aber da fahre ich nie wieder hin." Ja, ich verstehe ihn. Ich nehme mir vor, mich gleich in der Hotelbar in Mojitos zu ertraenken...