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Thema: Donbass-Tagebuch oder...

  1. #21
    Free-Member Avatar von photoproject
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    Standard AW: Donbass-Tagebuch oder...

    Hallo Jan, Du hast seit dem 17.07. nichts mehr gepostet. Ich hoffe, Du bist ok!

  2. #22
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    Standard AW: Donbass-Tagebuch oder...
    Thread-Eröffner

    Zitat Bezug auf die Nachricht von azrael Beitrag anzeigen
    wahnsinn, ich bin tief beeindruckt von dem hier geschriebenen.
    Danke.
    ich ziehe meinen hut vor dir.
    Danke, muss aber nicht sein. Das haben andere viel eher verdient.

    die fotos bringen die tatsache ans licht - so wie es wirklich ist. was uns die nachrichten verschweigen.
    Ahm, sorry, aber die Fotos, die ich hier vorweisen kann, sind unteres bis unterstes Niveau und taugen hoechstens zur Illustration. Die Anzahl guter Bilder, die ich hier bislang bekommen habe, kann ich bislang noch an meinen Haenden abzaehlen.

    Zitat Bezug auf die Nachricht von photoproject Beitrag anzeigen
    Hallo Jan, Du hast seit dem 17.07. nichts mehr gepostet. Ich hoffe, Du bist ok!
    Herzlichen Dank fuer die Nachfrage! Ja, wirklich.
    Ist halt so, dass ich hin und wieder auch mal was anderes tue, als mich hier im Forum aufzuhalten. Laengere Abwesenheiten sind nicht zwangslaeufig ein schlechtes Zeichen.
    Mir fehlte auch ein wenig die Zeit, etwas zu schreiben...

    Gruss,
    Jan.

  3. #23
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    Standard Sloviansk Surfer
    Thread-Eröffner

    "Er soll weiter rechts fahren, unter der Pfuetze verbirgt sich ein tiefes Schlagloch" sagt Gabriel*, der bereits mehr als zehn Mal in Sloviansk war, hier quasi gelebt hat und die Stadt sichtlich wie seine Westentasche kennt, auf Englisch. Ich uebersetze das fuer Vitja, unseren Fahrer, in's Russische, der dem unsichtbaren Hindernis sogleich ausweicht. Vitja habe ich von Sascha geerbt. Sascha ist ein russischer Fotograf, mit dem ich einige Zeit ein Team gebildet habe. Sascha ist ein netter Kerl und Sascha ist ein guter Fotograf. Dass ein Kumpel von mir ein Kumpel von Sascha ist, haben wir erst zum Schluss herausgefunden.

    In den letzten paar Tagen in der Ukraine wurde Sascha nie ganz nuechtern. Er hatte kein Assignment - keinen Auftrag - mehr kriegen koennen und ihm fehlte gleichzeitig das Geld zur Heimreise. Jeder Freie sucht ein Assignment. Das ist das, was das Geld bringt. Aber Assignments sind rar... Am Ende klappte es doch noch, dass er einen Auftrag bekam, der ihm das Geld fuer die Heimfahrt mit der Bahn einbrachte. Jetzt duempelt Sascha irgendwo im Schwarzen Meer auf einer Yacht und fotografiert schoene Menschen und schoene Boote. Das bringt das Geld fuer den naechsten Ausflug in irgendein Knall-Bumm-Land. Sascha ist ein engagierter Fotograf...

    Wir sind in Sloviansk, dem Zentrum der Kaempfe in der Ost-Ukraine. Gabriel will seine Story ueber die Kinder von Sloviansk abschliessen und ich habe die Gelegenheit ergriffen, mir dieses mythische Staedtchen mit ortskundiger Begleitung naeher anzusehen. Ganz wohl ist mir dabei trotzdem nicht. Sloviansk ist ein Labyrinth aus Strassensperren, welches von einem Ring von Strassensperren der ukrainischen Seite eingeschlossen ist aber Gabriel fuehrt uns mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die Stadt und zum Krankenhaus. Das auf der anderen Strassenseite gelegene Kinderkrankenhaus ist bereits evakuiert worden. Einige Fensterrahmen sind leer, einige mit Folie provisorisch geschlossen. Wir suchen die Kinder. Vor dem Eingang des Krankenhauses steht eine Ambulanz; ein Pfleger, eine Aerztin und ein russisches Fernsehteam stehen daneben. Die Russen drehen; die Aerztin ist sauer. Ich schiesse eine Aufnahme. Ein Mann wird auf einer Trage aus dem Krankenhaus getragen. Wir sollen das nicht aufnehmen. Ich folge der Anweisung, waehrenddessen die Russen weitermachen. Die Aerztin geht, sichtlich kurz vor'm Platzen, einige Meter zur Seite und wird gleich wieder zurueckgerufen. Sie geht zu dem Mann auf der Trage, untersucht ihn, schuettelt den Kopf. Der Mann ist tot. Die Russen drehen. Ich koennte kotzen. Habe ich zwar auch gemacht, als ich jung war, aber mir hat ein deutscher Polizist Anstand beigebracht. Fast haette er mich damals verpruegelt. Aber das ist eine andere Story...

    Vitja wird von uns vorgeschickt. Vitja ist ruhig und diplomatisch - und aus dem Donbass. Die Kinder wurden, so erfaehrt er, in ein anderes Krankenhaus, etwa 15 Kilometer von Sloviansk entfernt, verlegt. Der Weg dorthin ist unsicher. Die Ambulanzen, so erzaehlt man, werden regelmaessig beschossen. Wir verzichten. Muss nicht sein. Gabriel will uns die 'Sehenswuerdigkeiten' von Sloviansk zeigen. Wir fahren also in Richtung des SBU-Gebaeudes. In einer Strasse auf dem Weg dorthin sehen wir Schaeden, aufgeregte Menschen. Wir halten an und steigen aus.

    Im ersten Sock steht eine Frau im Morgenmantel auf einem Mauervorsprung und nagelt Rettungsfolie an ein Fenster. Klick. Kein tolles Bild, aber vielleicht gibt's ja gleich noch mehr zu sehen... Opfer vielleicht? Blut? Nein, nichts davon. Die Leute erzaehlen uns, eine Granate sei in der Strasse eingeschlagen.



    Wir gehen herum, suchen Motive. Ich trete an die glaslosen Fenster des Erdgeschosses, werfe ein Blick in den Raum. 'Klack-Klack-Klack ... Drrrr' 'Klack-Klack-Klack-Klack ... Drrrrrrrr' toent ein mir altbekanntes Geraeusch. Drehwaehler. Es ist eine Ortsvermittlungsstelle, im Erdgeschoss eines mehrstoeckigen Wohnhauses...

    Die Menschen sind aufgebracht. Schimpfen auf "die Junta", "die Kindesmoerder", "die Faschisten, die alle Menschen aus dem Donbass umbringen wollen". Sie verlangen nach Gerechtigkeit, aber wenn etwas gibt, was in jedem Krieg fehlt, dann ist es Gerechtigkeit. Krieg ist nicht gerecht. Nicht gerecht zu den Zivilisten, die von ihm betroffen sind; nicht gerecht zu den Soldaten, die in ihm kaempfen - und sterben; nicht gerecht zu ihren Witwen und Waisen, deren Vaeter nie mehr zurueckkommen und erst recht nicht gerecht zu den seelischen und koerperlichen Krueppeln, die sie in Massen hervorbringen.

    Ich denke, die Granate ist nur durch Zufall hier eingeschlagen. Dieses Mal. Wie soll man Menschen, Zivilisten, fuer die Krieg noch vor wenigen Monaten etwas war, was man nur aus Fernsehen kannte, erklaeren, dass sie ueber einem - aus militaerischer Sicht - legitimen Ziel wohnen..? Viele Bilder gibt's hier nicht.

    Wir entschliessen uns, zum SBU weiterzufahren. Es ist schon Nachmittag und wir wollen es noch bei Tageslicht zurueck nach Donezk schaffen.

    Am SBU-Gebauede angekommen, gehen wir zu einer Strassensperre, die nur wenig weiter aufgebaut wurde. Gabriel kennt die Jungs. Merkt man auch gleich, denn er wird wie ein alter Freund begruesst. Er stellt uns, Lukaz, einen jungen polnischen Fotografen und mich, vor. Freundliches Nicken oder Haendeschuetteln ist die Reaktion der Kaempfer. Der Offizier macht seinem Nomme de guerre alle Ehre. 'Surfer' sieht ungemein gut aus. Zu Hause bricht er vermutlich reihenweise die Herzen junger Touristinnen... Er ist vom Schwarzen Meer hierher gekommen, um beim Kampf gegen die 'Junta' zu helfen. In einem frueheren Leben war er Offizier bei den ukrainischen Streitkraeften... Er erlaubt uns, an der Barrikade zu fotografieren. Nur die Gesichter sollen wir nicht verewigen. Aber bei Bedarf werden sie gerne Masken anziehen. Finde ich nicht so prickelnd. Gestellte Aufnahmen sind nicht mein Ding. Da fehlt immer irgendwas, finde ich. Lukasz fotografiert zwei junge Kaempfer, die nichts dagegen haben ohne Masken abgelichtet zu werden. Der eine ist 18, der andere kaum aelter. Der juengere steht mit seinem Vater hier an der Barrikade. Ich frage mich, wer von den beidem dem anderen gefolgt ist. Frage mich, wie ein Vater hier mit seinem Sohn stehen kann...

    Ukrainische Gastfreundschaft ist umwerfend. Man besucht andere gerne und wird gerne besucht. Wenn man Zeit hat, wenn man Lust hat. Manchmal am spaeten Abend, manchmal am Morgen oder auch mal mitten in der Nacht. Und wenn Gaeste kommen, dann biegt sich der Tisch. Was man hat, wird aufgetischt und auch vertilgt.

    Auch bei jenen, die nicht viel haben. Irgendwie wird auch morgen etwas in den Magen gelangen - zur Not besucht man halt jemanden... So auch hier an der Barrikade. Einer hat gekocht. Soljanka. Wir werden damit gemaestet. Schmeckt wirklich gut. Ich nehme mir vor, dass ich - wenn ich denn nochmal wieder hierher zurueck komme - vorher einen Supermarkt besuche.

    Surfer fragt mich, was ich ueber den Konflikt denke. Ich antworte diplomatisch. Mit Bedacht waehle ich meine Worte. "Was ich hier sehe, macht mich unendlich traurig. Ich finde es entsetzlich dass jetzt der Bruder den Bruder toetet" sage ich mit Anspielung auf die ukrainische Nationalhymne. Surfer sieht mich an. Seine Augen werden kalt. Er weist mit der Hand in die ungefaehre Richtung, wo die ukrainischen Truppen stehen. "Brueder?" "Das sind nicht meine Brueder! Das sind nicht mal Tiere" entfaehrt es ihm. "Die haben kein Recht zu leben. Die muessen sterben, diese Bestien. Die wollen uns alle toeten. Sie bauen Konzentrationslager, die von der EU finanziert werden; dort werden sie uns vernichten." Mir laeuft es kalt den Ruecken hinunter. So viel Hass. Ein anderer fuegt hinzu, "Und in Donezk haben wollten sie Gubarew [den 'Volksguverneur'] mit einer Atombombe toeten." Ich denke, er hat sich versprochen und korrigiere ihn: "Du meinst, mit einer Autobombe?" "Nein, die Schweine wollten ihn mit einer Atombombe toeten". Ich bin irritiert, denn heute morgen sah Donezk noch intakt aus und einen Rauchpilz habe ich auch nicht sehen koennen. Darauf weise ich ihn auch dezent hin. Er entgegnet, dass er es im Fernsehen, bei LiveNews,
    dem russischen Fernsehsender gesehen haette. Und im uebrigen wuerden die russischen Kanaele ja die Wahrheit zeigen, waehrend die ukrainischen nur Luegen und Hass verbreiten. Ich solle mich besser informieren.
    Besser, so denke ich, wechsele ich das Thema und frage daher, ob ich einige Aufnahmen von der Barrikade machen darf...



    Jemand, anscheinend ein Vorgesetzter, kommt und spricht mit 'Surfer'. Die Belegschaft der Barrikade beginnt damit, auf- und wegzuraeumen. 'Surfer' sagt mir mit beilaeufiger Gelassenheit, dass wohl gleich ein Granatwerferangriff der Ukrainer erfolgen wird. Er weist auf Sansackbwehrte Ausspaarungen. "Dann legt ihr Euch dort hinein. Wenn es heftiger wird, gehen wir hier in's Haus und durch die Haeuser bis dort" waehrend er auf das Ende des Haeuserblocks weist. Ich kucke zu Gabriel und mit wenigen Worten beschliessen wir, dass es nicht nur an der Zeit ist, die Westen anzulegen, sondern auch Vitja ueber das bevorstehende Feuerwerk in Kenntnis zu setzen. Da ich als einziger unserer kleinen Gruppe Russisch spreche, faellt diese Aufgabe mir zu und ich gehe die wenigen Meter zu unserem Auto, das in einer Einfahrt auf der anderen Strassenseite, gleich neben dem SBU-Gebaeude geparkt ist. Auf dem Weg dorthin denke ich intensiv ueber den Bloedsinn nach, den wir hier gerade durchexerzieren. Aber dabei koennten ja mal endlich sinnvolle Bilder rauskommen. No risk, no fun.

    Bei Vitja angekommen, bitte ich ihn, den Kofferaum zu oeffnen, damit ich die Westen rausholen kann. Ich empfehle ihm, den Wagen doch vielleicht einen oder zwei Haeuserblocks weiter zu parken, da es hier wohl gleich etwas lauter werden wird. Vitja guckt mich an, als haette ich ihm gerade etwas von fliegenden Elefanten und einem lebenden Elvis erzaehlt. "Nein, ich bleibe nicht hier. Ich fahre zurueck nach Donezk. Wenn ihr wollt, dann bleibt ihr hier, aber ohne mich." Seufz. Ich kann mich nicht entscheiden, ob mich dieses Statement erfreut oder nicht. Einerseits habe ich keine Lust zu bleiben, andererseits keine Lust zu fahren. Aber im Prinzip hat Vitja mir diese Entscheidung schon abgenommen, denn ohne Auto und Fahrer moechte ich hier definitiv nicht bleiben. Die Westen bleiben im Wagen und ich kehre zurueck zur Barrikade, wo ich zunaechst Gabriel und dann 'Surfer' ueber die Sachlage aufklaere. Gabriel ist wohl auch nicht uebermaessig traurig, dass wir fahren. Ein kurzer aber beinahe herzlicher Abschied von der Mannschaft und wir gehen zu Dritt zum Wagen.

    Vitja ist sichtlich angespannt, der Motor laeuft bereits. Wir fahren los, finden wieder unseren Weg durch das Labyrinth der Strassensperren aber am Ortsausgang ist Schluss. "Hier kommt ihr nicht durch. Die ukrainische Armee hat die Zufahrtsstrassen abgeriegelt." lautet die Aussage eines Separatisten.

    Wieder zurueck in die Stadt; einen anderen Weg suchen. Die Daemmerung naht. Wir waren verdammt lange in der Stadt. Am Busbahnhof erfahren wir, dass die Busverbindung auch unterbrochen ist, weil die Ausfallstrasse nach Kramatorsk von den Ukrainern gesperrt wurde. Ich plaediere dafuer, ein Hotelzimmer zu nehmen und in der Stadt zu uebernachten. Vitja will weg. Seine Haende umkrampfen das Lenkrad. Er ist fuer meinen Geschmack viel zu nervoes. Nervoese Menschen treffen oft dumme Entscheidungen. Dumme Entscheidungen sind in solchen Situationen meist nicht wirklich foerderlich fuer ein langes, gesundes Leben.

    Vitja erkundigt sich bei einem Taxifahrer nach anderen Wegen und folgt den Anweisungen. Die meisten Strassensperren sind jetzt unbesetzt. Kein gutes Zeichen.

    Bald darauf haben wir die Stadt beinahe verlassen. Ein kleiner Stau hat sich an der Senke gebildet, die man durchfahren muss, um auf die Hauptstrasse zu gelangen. In dem Bereich ist nur Schotter, Schlamm vom morgendlichen Regen und Schlagloecher. Vitja haelt auf dem Asphalt an. Gabriel wird nervoes: "Weiterfahren, nicht hier anhalten. Wir sind im Schussbereich ukrainischer Scharfschuetzen." Ich werde nervoes. "Vitja, fahr um die Ecke. Jetzt." Vitja guckt mich an. "Warum, hier steht man besser?" "Vitja, jetzt. Scharfschuetzen." Vitja guckt noch immer. Es kommt mir vor, als wuerden Minuten verstreichen. "Vitja, wir sind im Schussbereich ukrainischer Scharfschuetzen. Hier darf man nicht anhalten!" Vitja reagiert. "Bljad'!" Er faehrt um die Ecke, waehrend Gabriel erklaert, dass es nicht wirklich schlimm sei, in dieser Strasse. Die Scharfschutzen wuerden normalerweise nicht schiessen um zu toeten, sondern eher aus Langeweile oder um die Visiere zu justieren." Ha-Ha-Ha. Fuer mich ist das schlimm genug. Brauche ich nicht. Will ich nicht. Vitja wohl auch nicht. Seine Haende sind am Lenkrad fahrig geworden und die Knoechel treten weiss hervor, waerend er die Belederung knetet. Ich uebersetze. Er erwidert "Pisdez." Endlich koennen wir die Senke durchqueren. Vitja ist gestresst, der Wagen setzt mehrfach auf. Es ist schon fast dunkel.

    Wir kommen zu einer Strassensperre der ukrainischen Armee. Ein Baumstamm liegt quer ueber der Strasse, das Turmgeschuetz eines BMD weist in unsere Richtung. Ueber dem Rest der ausgedehnten Stellung liegt bereits die Nacht. Ich denke darueber nach, wieviele Visiere auf uns gerichtet sein moegen und ich denke an die 'nette' Begegnung mit den Vollpfosten von der Nationalgarde. Vitja dreht auf dem Platz vor der Barrikade eine Runde. Aus dem Dunkel ruft eine Stimme "Kehrt um!"; Vitja haelt an und will aussteigen. Ich spuere Panik in mir aufkommen. Bloss nicht aussteigen! "Vitja, bleib im Wagen und wir kehren JETZT um. LANGSAM." weise ich ihn mit der ruhigsten und bestimmtesten Stimme an, die ich aufbringen kann. Vitja will nicht hoeren. "Vitja, bleib sitzen und kehr langsam um. Die knallen uns im Zweifelsfall gleich ab, wenn Du aussteigst." Vitja begreift und wendet.
    Wir kehren um und suchen einen anderen Weg, der uns auch tatsaechlich auf die Hauptstrasse zurueckfuehrt. Und diese ukrainische Strassensperre laesst uns passieren...

    Nach einer langen Autofahrt und mehreren Strassensperren kommen wir zurueck nach Donezk. Vitja zeigt mir den Taxameter. 1.700 Grivna zeigt dieser an. Das sind etwa 100 Euro. "Mach das Doppelte daraus. Fuer den Stress." Seufz. Vitja war immer sehr fair, was seine Preise anbelangte und er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass der Preis sich nach dem Risiko richtet. Also zahle ich. 200 Euro plus Hotelkosten fuer was? Fuer Bildchen?

    Damned, heute werde ich wohl mal den Cognac probieren...
    Geändert von Phoyager (31.07.2014 um 10:30 Uhr) Grund: Typos

  4. #24
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    Standard Nachtrag zu Sloviansk Surfer
    Thread-Eröffner

    a) Heisst "LifeNews" und nicht "LiveNews"
    b) Damit's auch glaubwuerdig ist, dass solche phantastischen Geruechte verbreitet werden, hier ein Screenshot:


    Ueberschrift: "Faschistische Junta hat Atombombe abgeworfen ueber dem Gebaeude der Donezker Verwaltung"

    Untertitel: "[Eine ganze] Anzahl [an] Verletzten und Toten bestaetigt. Kiewer Machthaber [koennte man auch als Regierung uebersetzen] schaemen sich keinerlei Methoden zur Unterdrueckung des Volksprotestes"

  5. #25
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    Rotes Gesicht Zweiter Anlauf...
    Thread-Eröffner

    Ich hatte Euch ein Tagebuch versprochen und mir selbst fest vorgenommen, zumindest alle paar Tage hier etwas zu schreiben. Aber so, wie viele gute Vorsätze, endete auch dieses Vorhaben. Lange Arbeitstage und die 50 oder mehr Kilometer, die es zum oft zum nächsten funktionierenden Hotspot zu fahren galt, liessen den Plan einschlafen. Schmutzig und erschöpft, hat man Abends einfach keine Lust mehr, etwas anderes zu machen, als die Bilder des Tages durchzusehen, das brauchbare Material mit Captions zu versehen und dann zu senden, während man sich bei lausig-lauter russischer Popmusik irgendein Futter zwischen die Kiemen schiebt und mit Cognac oder anderen geistigen Getränken runterspült.

    Nun, vergessen habe ich meinen Vorsatz nicht und nun, nachdem sie mich endgültig aus dem Krankenhaus rausgeschmissen haben, ich aber nicht arbeitsfaehig bin, ist genügend Zeit um einen zweiten Anlauf zu unternehmen und diesen Thread aus seinem quasi-Grab zu holen. Apropos Krankenhaus: Irgendwie schaffe ich es bei jedem meiner längeren Ukraine-Aufenthalte der vergangenen Jahre in einem solchen zu landen. Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich das persönlich sonderlich witzig finde, bin aber zuversichtlich, dass die Schilderung des hiesigen Gesundheitssystems Euer Interesse finden wird...

    Zunächst kehre ich mit meinem Geschreibsel aber erst mal zu dem Zeitpunkt zurück, wo ich damals aufgehört habe.


    Oh, bevor ich's vergesse, will ich schnell noch auf eine alternative Schilderung aus der Feder einer russischen Kollegin hinweisen: Drinking Beer While Under Fire

  6. #26
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    Standard Es war so schoenes Licht
    Thread-Eröffner

    Gabriel und ich sind wieder mal gemeinsam unterwegs und auch Lukasz sitzt mit im Wagen, der von Dima, Gabriels ständigem Fahrer, gelenkt wird. Unser Begehr sind heute Aufnahmen von Flüchtlingen. Es ist eine lange Fahrt auf Nebenstrassen und Schleichwegen, weil heute die wichtigsten Strassen wegen Kampfhandlungen nicht sicher passierbar sind. Aber Dima kennt sich im Donezker Oblast aus...

    Der Tag ist reichlich unproduktiv. Das Lager mit den Flüchtlingskindern entpuppte sich als stinknormales Ferienlager und die tatsächlichen Flüchtlingskinder sollten im Kloster von Artemivsk untergebracht sein. Dort wiederum stiessen wir auf eine Mauer eisernen Schweigens und sind nunmehr zu einem anderen Ort unterwegs, an dem Kinder in Sicherheit gebracht worden sein sollen. Der Weg dorthin führt uns in die Nähe von Sloviansk. Es ist der Nachmittag eines wunderschönen Sommertages; die Sonne steht tief und taucht die Landschaft in bezauberndes warmes Licht.

    In einiger Entfernung taucht auf der Strasse ein ausgebrannter PKW auf. In diesem Licht sieht er faszinierend aus. Drei Kameras beginnen zu klicken. Wir sind zu schnell und die Strasse zu uneben um ein sinnvoll konzeptioniertes Foto zustande zu bringen. Seufzen bei Lukasz und mir und auch Gabriel gelüstet es wohl nach einem ersten gelungenen, verkaufbaren, Foto an diesem Tag. Gabriel schlägt vor, das wir anhalten könnten. Mir behagt der Vorschlag nicht, denn zweihundert, höchstens dreihundert Meter hinter diesem ausgebrannten Wagen ist eine nicht gerade kleine Strassensperre. Aber Gabriel hat lange hier in der Gegend gearbeitet, er kennt sich mit dem aus, was möglich ist und wohl auch mit dem, was nicht möglich ist. Ich willige ein und Dima hält etwa 50 Meter hinter dem Wrack und wir steigen aus.

    Mein Blick geht zur Strassensperre und ich beschliesse, nicht in Richtung der Stellung zu fotografieren. Das Bauchgefühl ist nicht gut. Wir gehen auf den Wagen zu, beginnen Aufnahmen von seiner Schattenseite zu machen. Aber ohne das schoene, warme, weiche Licht ist das alles nichts, wie ich finde. Ich blicke zur Strassensperre, sehe, wie eine Dreiergruppe von dort kommend in unsere Richtung geht. Shit.

    "Wir kriegen Besuch" sage ich beiläufig. Wir gehen gemächlich zu unserem Wagen zurück, zünden Zigaretten an, tun so, als hätten wir die drei Kämpfer noch nicht bemerkt, die sich auf uns zu bewegen.

    Als die drei bei uns angelangt sind, fragt man nach unseren Ausweisen, Akkreditierungen und nach dem, was wir hier tun. Wir überreichen die Dokumente und erklären, dass wir den ausgebrannten Wagen fotografieren wollten, weil er doch ein gutes Foto abgeben würde. Man guckt uns leicht irritiert an und begutachtet dann die Akkreditierungen. Begutachtet, inspiziert, mehrmals und intensiv. "Die Akkreditierungen sind abgelaufen."

    Ich insistiere, dass die mitnichten abgelaufen seien. Einer der Kämpfer zeigt auf das Datum. "Ihre Akkreditierung ist am 8. Mai abgelaufen." Ich gucke verwundert. Schaue mir das ganze zur Sicherheit nochmals an und muss feststellen, dass der Typ zu dämlich ist, das Dokument seiner eigenen 'Volksrepublik' zu lesen, denn da steht links "Ausgestellt am: 8. Mai 2014" und etwas weiter rechts "Gültig bis: 31. Juli 2014". "Das ist das Ausstellungsdatum. Die sind noch bis zum 31. Juli gültig", sage ich. Er guckt auf das Papier, grübelt sichtlich und erwidert, "Das soll mein Kommandant entscheiden". Seufz.

    Der Dämlack greift zum Funkgerät und fordert den Kommandanten an. Also warten wir, bis nach einigen Minuten ein PKW angefahren kommt, dem zwei Uniformierte entsteigen. "Die drei hier haben die Strassensperre fotografiert und ihre Akkreditierungen sind am 8. Mai abgelaufen", schildert der Patrouillenführer seinem Vorgesetzten den Sachverhalt. Ich entgegne, dass wir nicht die Strassensperre fotografiert haben, sondern nur einen ausgebrannten PKW und dass unsere Akkreditierungen sehr wohl noch bis Ende Juli gültig seien.
    Der Kommandant sieht sich unsere Akkreditierungen an und bemängelt, dass weder Lukasz noch ich den offiziellen Sloviansker Akkreditierungsstempel haben, woraufhin ich erwidere, dass wir ja nicht in Sloviansk seien. "Sie sind aber im Sloviansker Kommandobereich und hier benötigen Sie die Sloviansker Akkreditierung", belehrt mich der Vorgesetzte. "Sie werden verstehen, dass ich meinen Kommandanten hinzuziehen muss" ergänzt er. Fuck. Das gefällt mir zwar überhaupt nicht, denn der Zwischenfall beginnt unangenehme Dimensionen anzunehmen, aber ich gebe mich äusserlich gelassen.

    Der Kommandant nimmt sein Telefon und ruft irgendwen an, schildert die Lage und bittet darum, dass sein Kommandeur zu unserer kleinen Versammlung kommt. "Das wird nicht lange dauern" sagt er zu mir. Die Wartezeit vergeht mit einer gemeinsamen Raucherpause und spärlichem aber durchaus freundlichem Smalltalk. Es kommt ein Volkswagen Transporter angefahren und ich begreife, dass das Problem gerade dabei ist, bedrohlich zu eskalieren, denn die Karre ist grün und einer jener Geldtransporter, die von den wirklich ernstzunehmenden Separatisten 'vergesellschaftet' wurden, weil sie schnell und doch gegen Beschuss aus Handfeuerwaffen geschützt sind. Ich kriege ein richtig flaues Gefühl in der Bauchgegend.

    Aus dem Bus steigen abermals zwei Uniformierte, die der Postenkommandant über den Sachverhalt in Kenntnis setzt. Der hinzugekommene Abschnittskommandant guckt sich kurz unsere Akkreditierungen und Presseausweise an, führt in einiger Entfernung ein kurzes Telefongespräch und sagt, als er wieder zu uns zurückkehrt, "Sie müssen mit uns nach Sloviansk kommen. Die Angelegenheit wird beim SBU geklärt." Mein Magen wird gaaanz klein, denn mit "SBU" ist mitnichten der ukrainische Geheimdienst gemeint, sondern das berühmt-berüchtigte Hauptquartier von Girkins Sloviansker 'Separatisten'-Streitmacht, in dessen Keller schon so mancher einen unfreiwilligen 'Urlaub' verbringen durfte. "What's he saying?" fragt Gabriel, der wohl trotz mangelnder Sprachkenntnisse mitbekommen hat, dass hier gerade etwas gewaltig in die Hose geht. Zunächst auf Englisch, dann auch auf Polnisch erkläre ich meinen Gefährten den Sachstand. Lukasz fragt, ob ich hier gerade einen Scherz abziehe, was ich verneine. Der Abschnittskommandant guckt zu seinem Bus, dann zu unserem Auto und fragt mich "Wollen Sie mit uns fahren, oder in Ihrem Wagen?" Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Ich will Gelassenheit demonstrieren und erwidere "Ach, fahren wir mit Ihrem Wagen, das ist unkomplizierter." An Dima gewandt, weise ich ihn an, hinter uns herzufahren und beginne, auf den Geldtransporter zuzugehen. Dort angekommen, guckt der Abschnittskommandant ein wenig ratlos, denn die Rücksitzbank bietet nur Platz für zwei Personen. Er schaut auf Lukasz und sagt ihm, er solle in Dimas Wagen fahren. Ich übersetze und Lukasz trottet zu Dimas Wagen zurück. Gabriel und ich nehmen hinten Platz, während der Abschnittskommandant sich hinters Lenkrad setzt und sein Kollege auf dem Beifahrersitz Platz nimmt. Wir fahren los.

    Meine Gedanken rasen. Ich mache eine flachsige Bemerkung über die Berühmtheit dieser Fahrzeuge, während ich möglichst unauffällig mein Mobiltelefon aus der Tasche ziehe und beginne, eine SMS zu schreiben. "Detained in Sloviansk area. En route to SBU. Take action if no news within 3 hours." Diesen Text versende ich an alle Kollegen, die ich in meinem Telefon gespeichert habe. Schalte das Telefon lautlos. Tausend Gedanken. Habe ich eventuell irgendwas, was man als kompromittierend interpretieren koennte, auf dem Telefon gespeichert? Wohl nicht. Ich studiere die beiden Typen auf den vorderen Sitzen. Mein Blick fällt auf das AK-S, die kurze Version des AK-47, das zwischen den Vordersitzen auf dem Boden liegt. Ich will nicht wie Simon Ostrovsky auf unbestimmte Zeit im SBU-Keller 'recherchieren'. Die Bedienung ist einfach. Rechts den Sicherungshebel nach unten, links durchladen. Die Typen werden sich nicht wehren können. Was dann? Raus aus dem Wagen und irgendwie zu den ukrainischen Linien durchschlagen? Fuck. Machbar aber nicht sinnvoll. Hoffen, dass der Ausflug zum SBU nur eine kurze Abwechslung an diesem Tag darstellt? Das Telefon vibriert. Ein Kollege fragt per SMS "Are you all right?" Antwort: "No, detained." Ein kurzer Scherz mit den Kämpfern. Wir passieren mit hoher Geschwindigkeit eine Strassensperre. Blicke mit Gabriel wechseln. Er findet das auch nicht witzig. Ich hoffe, dass Lukasz und Dima clever genug sind, um den Umstand, dass sie unbewacht sind, zu nutzen, die Aussenwelt zu informieren...

    Der Wagen beginnt zu rumpeln, der Fahrer fährt langsamer, immer langsamer. Ich verstehe nicht ganz, was geschehen ist. Irgendwas ist kaputt. An der nächsten Strassensperre halten wir an. Der Fahrer steigt aus, der Beifahrer auch. Die nächste SMS von einem Kollegen "Whats going on? Are you harmed? Everthing ok?" Antwort "Unharmed. Detained. Going SBU Sloviansk." Ich lösche alle SMS, die ich seit unserer Festnahme verschickt oder empfangen habe. Die Tür geht auf. Der Abschnittskommandant erklärt, dass die Karre für's erste im Eimer ist und wir mit unserem Wagen zum SBU fahren sollen. Ich frage mich, wie das gehen soll, denn unser Töff-töff hat wirklich nicht genug Platz für sechs Personen, von denen zwei noch dazu aufgerödelte Kombattanten sind...

    Der Abschnittskommandant ruft einen Kämpfer hinzu und weist ihn an, mit uns zum SBU zu fahren. Wir quetschen uns zu dritt auf die Rücksitzbank, während sich der Kämpfer auf den Beifahrersitz setzt. All zu helle wirkt der nicht. All zu gefährlich auch nicht. Vielleicht kann man den ja erfolgreich ausschalten? Und dann? Clusterfuck.

    Zehn Minuten später erreichen wir bereits Sloviansk, passieren das Labyrinth von Strassensperren und halten auch schon bald gegenüber des SBU-Gebäudes. Wir steigen aus. Ich sehe 'Surfer' an seiner Strassensperre. Ich winke und rufe laut "Hey Surfer, Hallo". Je mehr Menschen wissen, was mit uns geschieht, desto besser. Der Kämpfer mag das nicht; 'Surfer' hat mich entweder nicht wahrgenommen oder - wahrscheinlicher - tut so, als hätte er mich nicht wahrgenommen. "Lassen Sie das", sagt der Kämpfer. Ich kommentiere, dass ich 'Surfer' kenne. Der Kämpfer erwidert in holprigem Englisch "Ich weiss" und an Gabriel gewandt, sich beinahe entschuldigend, "Sie haben hier lange gearbeitet, ich habe Sie oft gesehen. Sie sind ok, aber ich habe meine Befehle". Am Tor des SBU-Gebäudes angelangt, erklärt der Kämpfer der Torwache, dass er drei Festgenommene abzuliefern hat. Wir sollen warten. Draussen, vor dem Tor. Ist es sowas wie eine Gnadenfrist?

  7. #27
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    Standard Strafmassnahmen
    Thread-Eröffner

    Nach zwanzig, vielleicht dreissig Minuten Wartezeit werden wir hereingelassen. Hereingelassen ist ein nettes Wort. Die Freiheit endet. Das Leben endet.
    Es ist ein riesiger Unterschied, ob man festgenommen ist, oder ob man im Gefängnis endet. Im Gefängnis ohne Recht, ohne Berufung, ohne Anwalt. Ausgeliefert der Willkür einiger Weniger.
    Das Durchschreiten der Tür fällt schwer. Lasst alle Hoffnung fahren, geht mir durch den Kopf.
    Das Training wird Priorität. Programm. Wie bei einem Computer.
    Ein Hof; ein Eingang zum Gebäude; kurze Treppe zur Eingangstür; hinten im Hof geht's irgendwo weiter. 9 Leute im Hof. 3 am Tor.
    Prioritäten.
    Prioritäten: Umgebung aufnehmen und analysieren. Jedes Detail ist wichtig, wieviele Wachen; was geschieht; wie ist die Mauer; welches Schloss hat das Tor. Nur diesen Sch* möglichst unbeschadet überleben.
    Entweder ist es für mich nützlich, oder für die Jungs, die überübermorgen das andere arme Schwein rausholen, das hier Zwangsurlaub macht.
    Prioritäten: Nicht zulassen, entmenschlicht zu werden.
    Was hat Ostrovsky durchgemacht? Ich habe ihn nie fragen können. Als ich ihn später das erste Mal getroffen habe, war keine Gelegenheit, etwas anders zu sagen, als "Good to see you walk free".
    "Setzt euch auf die Treppe. Der Diensthabende [Offizier] kommt bald".
    Ich will mich nicht auf die Treppe setzen.
    Limitiert meine Beobachtungsmöglichkeiten.
    Limitiert meine Illusion von relativer 'Freiheit'.
    Mensch sein. Um fast jeden Preis vermeiden, zum Objekt zu werden. Objekte kann man schlagen, quälen, verschimmeln lassen. Menschen nicht. Training.
    Meinen Rücken hat es vor Jahren bei einem Verkehrsunfall erwischt. Ich gebe vor, dass Kreuz schmerzt, dehne mich, drehe mich, beobachte, halte meine Hand im Kreuz, memoriere das, was ich sehe.
    "Setzen Sie sich auf die Treppe", sagt einer der Uniformierten. Ich erkläre ihm, dass das für meinen Rücken wirklich nicht gut ist. Bin freundlich. Verziehe leicht den Mund, als ich ihm von meinen Rückenbeschwerden erzähle. Er lässt mich gewähren, ich mache weiter in meinem Programm.
    Einige Minuten vergehen. Ein älterer, etwas dünner, etwas verhärmt wirkender Kämpfer kommt in meine Richtung und hat ein Kissen in der Hand. Verwunderung bei mir. "Wissen Sie, ich habe 20 Jahre im Schacht gearbeitet. Ich weiss, wie Sie sich fühlen. Hier haben Sie mein Sitzkissen, wenn Sie sich darauf setzen, wird es für Sie viel angenehmer sein". Wir kommen in's Gespräch. Ich bin für ihn Mensch, kein Subjekt. Gut so. Das Training. Er ist ein netter Kerl. Die Zeit vergeht. Ich erfahre ein wenig ueber das Leben von Arbeitern im Kohlebergbau.

    Nach etwa 20 Minuten Wartezeit kommt der Offizier vom Dienst. Sagt uns, wir sollen ihm folgen. Zu meiner Verwunderung nicht in's Gebäude, sondern hinaus auf die Strasse. Die in der Gewissheit, dass wir in irgendwelchen Vernehmungsräumlichkeiten oder dem Keller enden werden liegende Ungewissheit, wird von völliger Ungewissheit abgeloest.
    Wir gehen die Strasse entlang. An der nächsten Strassensperre beginnt die 'Einvernahme'. Was geschehen ist, weshalb wir fotografiert haben. Wir sollen unsere Presseausweise, Akkreditierungen, Pässe, Mobiltelefone und alle Fotoapparate und Speicherkarten übergeben.
    Er nimmt alles und geht. Einer von der Strassensperre sagt uns, dass wir auf den Bordstein setzen und warten sollen. Da ich de-facto der Dolmetscher unserer Gruppe bin, übersetze ich und wir befolgen die Anweisung. Lukasz setzt sich hin, sagt mir, dass er müde sei und legt tatsächlich seinen Kopf auf die Knie und nickt auch schnell ein. Ich fasse es nicht.
    Bald darauf stehe ich wieder auf, um mich zu bewegen, der Typ von der Strassensperre sagt, ich solle mich setzen, ich bringe wieder meine Story, die er grunzend hinnimmt.
    Irgendwann geht der 'OvD' mit einem jungen Mann an uns vorbei. Dem stehen 'Geek' und 'Technische Aufklärung' auf der Stirn geschrieben. Der Aktenkoffer den er in der einen Hand trägt und das Festnetztelefon, das er in der anderen hält, sprechen Bände...
    "Der kümmert sich um unsere Ausrüstung". Gabriel fragt, wieso. Ich frage ihn, welcher normale Mensch in einem Kriegsgebiet mit einem Festnetztelefon und dem Diensthabenden Offizier des SBU-Gebäudes durch die Gegend läuft. Er versteht. Lukasz pennt.
    Wir verbringen die nächste Stunde überwiegend schweigend auf dem Bordstein, während Lukasz seinem Schlafbedürfnis nachkommt und die Separatisten wohl den grossen Datenstaubsauger angeworfen haben. Irgendwann taucht der OvD wieder auf, begleitet von einem anderen Kämpfer. Wir wecken Lukasz.
    Der OvD gibt zunächst Gabriel Dokumente, Telefon und Kameras zurück, mir dann meine Ausweise und tritt sodann Lukasz heran.
    "Wo ist Ihr Fotoapparat?" fragt er, was ich geflissentlich übersetze. Lukasz antwortet auf Polnisch, dass wir - was auch der Wahrheit entspricht - am Vormittag noch mit einem weiteren PKW unterwegs waren und er - unwahr - seine Kamera in diesem anderen Wagen vergessen hat. Mein Gehirn arbeitet auf höchsten Drehzahlen. Ich überlege fieberhaft, wie ich mich jetzt verhalten soll. Ich weiss, dass der Fotoapparat in unserem Wagen liegt. Wenn ich Lukaszs Variante wiedergebe und die Typen den Wagen durchsuchen, kommen wir mit Sicherheit zumindest in den Keller; wenn ich ihn 'in die Pfanne haue' ist das aber auch nicht tofte. Denken! Denken! Um Zeit zu gewinnen, beginne ich beim Übersetzen zu stottern und nach Worten zu suchen. Dem OvD ist das zu bunt "You can answer in English". Shit. "Ich spreche nicht so gut Polnisch, ich muss kurz meine Gedanken sortieren", erwidere ich.
    Kreuz durchdrücken, denke ich mir, während ich Lukaszs Variante übersetze und innerlich flehentlich hoffe, dass die das abkaufen und nicht auf die Idee kommen, den Wagen zu inspizieren. "Sie können gehen." Lukasz fragt, was mit seinem iPhone ist. "Das behalten wir" lautet die Antwort. Ich frage, wo mein Fotoapparat ist.
    Die Antwort haut mich fast um. "Den behalten wir. Strafe." Mir wird schwummrig.
    Die X war beinahe jungfräulich. Hatte gerade mal etwas mehr als 20.000 Klicks. Gekauft hatte ich sie nur deshalb, weil mein Fotoladen, bei dem ich seit 8 Jahren nahezu alle meine Objektive und Bodies gekauft habe, wohl meine Kundentreue belohnen wollte und mir einen Preis gemacht hat, der bestenfalls einige Euro oberhalb des EK lag. Nein, bitte nicht. Nicht das.
    Ich sage flehentlich, dass ich um Verzeihung für meinen Fehler bitte und dass ich ohne Kamera nicht arbeiten kann und dass ich ... Weiter komme ich nicht. Der zweite Uniformierte richtet seine AK auf mich. "Geh."
    Mit dem Gefühl tiefster Verzweiflung schlurfe ich benommen hinter meinen beiden Kollegen her.

    Wir gehen zu 'Surfers' Strassensperre. Gabriel will mit ihm sprechen, um Rat bitten. Dort bekomme ich eine grosse Portion Mitleid und Schulterklopfen und auch ein Süppchen, das ich mir lustlos reinschaufele, aber 'Surfers' Prophezeiung, dass gewiss bald jemand käme, um mir mit nachdrücklicher Warnung meine Kamera zurückzugeben, bewahrheitet sich nicht, obwohl wir zwei Stunden an der Strassensperre bleiben. Tieftraurig entscheide ich, dass es an der Zeit ist, nach Donezk zurückzukehren.

    Die Rückfahrt verläuft weitgehend schweigsam. Lukasz trauert um sein Telefon, ich ausserdem um meinen Fotoapparat.

  8. #28
    Free-Member
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    Standard AW: Strafmassnahmen

    ohh man ohh man das ist ja wahnsinn. mir würde der arsch auf grundeis gehen. ich hab diese "sowjetischen menschen" erlebt - die gehen nicht gerade zimperlich um mit anderen.

  9. #29

    Standard AW: Strafmassnahmen

    Sehr sehr intensiv!! Ich hoffe, dir geht es gut und wir lesen hier wieder von dir! Danke!

  10. #30
    Free-Member Avatar von Neonblack
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    1.435

    Standard AW: Strafmassnahmen

    Zitat Bezug auf die Nachricht von JörgW Beitrag anzeigen
    Sehr sehr intensiv!! Ich hoffe, dir geht es gut und wir lesen hier wieder von dir! Danke!
    Ich schließe mich dem an!

    lg
    Micha

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